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Eine Kooperation, die Schule machen soll

ProSpecieRara hat eine Kooperation zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen vereinbart. Dies mit dem deutschen Aromahersteller Symrise. Der Vertrag hat Vorbildcharakter. Er stellt sicher, dass ein Teil der Vorteile, die sich aus der Nutzung der pflanzengenetischen Vielfalt ergeben, in deren Erhaltung zurückfliesst. Die Vereinbarung soll weitere Unternehmen dazu bringen, ebenfalls einen Beitrag für die Vielfalt zu leisten und ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.

Sativa Rheinau AG

Der fortschreitende Verlust der Vielfalt landwirtschaftlich genutzter Pflanzen stellt ein grosses Risiko für die Welternährung dar. Diese ist heutzutage auf beängstigend wenigen Arten und Sorten abgestützt. Das birgt Gefahren, denn Vielfalt bedeutet immer auch Sicherheit. Mit einem möglichst breiten Pool von Sorten und ihren genetischen Eigenschaften bleiben wir anpassungsfähig und sind gerüstet für viele Eventualitäten – für Krankheiten, Klimaveränderungen, neue Konsumentenbedürfnisse.

Ein erfolgsversprechender Weg, um dem Verlust der Vielfalt im Sinne der Biodiversitätskonvention entgegenzuwirken, ist, diese nachhaltig zu nutzen und sie bei der kommerziellen Nutzung mit der Zahlung eines Vorteilsausgleichs (engl. «benefit sharing») zu verbinden. Das bedeutet, dass ein Teil der Vorteile, die sich aus der Nutzung ergeben, in die Erhaltung zurückfliessen soll. Was selbstverständlich klingt, ist es in der Realität leider nicht. Für die Nutzung genetischer Ressourcen aus der Schweiz gibt es keine Rechtspflicht für ein Benefit Sharing. Die Schweizer Nagoya-Verordnungermutigt zwar die Nutzenden, Vorteile, die sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen ergeben, in ausgewogener und gerechter Weise zu teilen – auch bei Fehlen einer Rechtspflicht. Doch über eine Empfehlung geht die Verordnung nicht hinaus. Nach schweizerischer und auch deutscher Gesetzgebung könnte Symrise auf ProSpecieRara-Saat- und Pflanzgut zugreifen und es für ihre Zwecke verwenden, ohne einen Extra-Beitrag für die Vielfalt zu leisten. Genau hier setzt der Vertrag an.

Vorteilsausgleich für die Vielfalt
Für die Nutzung von ProSpecieRara-Sorten bzw. die Prüfung ihrer Anwendungsmöglichkeiten ist Symrise bereit, ein sogenanntes «Up-Front-Payment» zu leisten – eine Vorauszahlung, welche der Erhaltungsarbeit zugutekommt. Sollte es dereinst zur Kommerzialisierung eines Produktes kommen, welches auf den zur Verfügung gestellten genetischen Ressourcen basiert – ein Beispiel wäre ein Duftstoffextrakt mit ‘Glockenapfelaroma’, das in einer Handcrème verwendet wird –, kommt es zu einem zusätzlichen Vorteilsausgleich.

Keine Patente auf biologischen Ressourcen
Eine weitere Vertragsklausel ist aus Sicht von ProSpecieRara wichtig. Wir engagieren uns seit längerem gegen die Patentierung von Saatgut und erachten die Nutzpflanzenvielfalt als wichtiges Allgemeingut, zu dem alle uneingeschränkt Zugang haben sollen. So sieht es auch Symrise. Daher verpflichtet sich der Aromahersteller, keine Patente anzumelden – weder auf die im Rahmen der Kooperation von ProSpecieRara zur Verfügung gestellten biologischen Ressourcen noch auf deren Bestandteile. Auch auf die direkte Verwendung, beispielsweise als Duftstoffextrakt in der erwähnten Handcrème mit ‘Glockenapfelaroma’, darf kein Patent angemeldet werden.

Neue Erhaltungsprojekte und Erkenntnisgewinne
Die im Rahmen der Symrise-Forschung gewonnenen Erkenntnisse werden an ProSpecieRara zurückfliessen. «Neue Eigenschaften und damit weitere Nutzungsmöglichkeiten für unsere Schützlinge zu entdecken, ist auch für uns interessant», sagt ProSpecieRara-Geschäftsleiter Béla Bartha. «Dafür evaluieren wir im Rahmen der Vereinbarung gerne unsere Sorten und machen Pflanzgut verfügbar».

Über die Nutzung im Rahmen ihres Kerngeschäftes hinaus wird Symrise auch Projekte zur Erhaltung und Förderung pflanzengenetischer Ressourcen unterstützen. Dies beispielsweise, indem Sortensammlungen oder Erhaltungsgärten angelegt werden. Umgesetzt werden die Projekte von ProSpecieRara Deutschland oder auch von Symrise selbst – in letzterem Fall mit fachlicher Beratung durch ProSpecieRara.

Motivation für weitere Akteure
ProSpecieRara hofft, dass dieser Vertrag mit Modellcharakter weitere Unternehmen animiert, ebenfalls ihren Beitrag für die Vielfalt zu leisten und ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Er soll motivieren, sich für die Erhaltung, die nachhaltige Nutzung sowie für einen gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen zu engagieren. Denn um die biologische Vielfalt langfristig zu erhalten, ist ein breit abgestütztes Engagement bitter nötig.

Die Kooperation mit Symrise wird die Finanzierungsstruktur von ProSpecieRara nicht grundsätzlich ändern. Dafür sind die prognostizierten Einnahmen zu klein. Dass ProSpecieRara weiterhin Pionierarbeit leisten kann, wird auch künftig hauptsächlich von unseren Gönner:innen und Unterstützer:innen abhängen. Die Vielfalt braucht uns alle! 

 


Pflicht oder gesellschaftliche Verantwortung?

Gemäss der betreffenden EU-Verordnung 511/2014 sowie der deutschen und schweizerischen Gesetzgebung wäre Symrise formaljuristisch nicht verpflichtet, bei der Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen aus der Schweiz oder Deutschland einen Vorteilsausgleich zu leisten. In der Schweiz werden die Nutzenden in der Nagoya-Verordnung jedoch ermutigt, «die Vorteile, die sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen oder auf sich darauf beziehendem traditionellem Wissen ergeben, auch bei Fehlen einer Rechtspflicht freiwillig in ausgewogener und gerechter Weise zu teilen» und diese für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile einzusetzen. Und genau dies wird mit dieser strategischen Kooperation zwischen ProSpecieRara und Symrise nun angestrebt. Ein Projekt mit Pioniercharakter. 


Alte Sorten mit grossem Nutzen – z.B. ‘Bergers Weisse Kugel’

‘Bergers Weisse Kugel’, eine sehr alte Selleriesorte, wird heute kaum noch für den Verzehr angebaut. Ihre dunklen Flecken im Innern sehen die Konsument*innen als Makel, weshalb diese Sorte für die Lebensmittelindustrie bislang unattraktiv erschien. Doch dieser vermeintliche Makel von ‘Bergers Weisse Kugel’ stellt für Symrise einen qualitativen Vorteil dar. Denn die dunklen Flecken sind Zuckernester und somit entscheidend für den intensiven und typischen Geschmack dieser Sellerievarietät. Und genau diesen sucht Symrise, um Saft und Konzentrat herzustellen, welche sie in über 125 Produkten einsetzt. Dafür braucht sie jährlich rund 500 Tonnen Sellerieknollen. Die Nachfrage durch Symrise führte in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Saatgutzüchter Sativa Rheinau dazu, dass diese alte Sorte eine Neuzulassung erhielt und somit Saatgut von ‘Bergers Weisse Kugel’ erhältlich bleibt.