Soll man alte, traditionelle Rassen enthornen? Nein.

Viele alte Nutztierrassen tragen Hörner. ProSpecieRara will, dass das so bleibt. Dass die Stiftung aber mechanisch enthornte Tiere nicht kategorisch aus der Zucht ausschliesst, ist dem Hauptauftrag – der Generhaltung – geschuldet.

Viele ProSpecieRara-Schaf-, Ziegen- und Rinderrassen tragen Hörner. Hörner sind wichtig für die Körperpflege und das Sozialverhalten der Tiere und haben einen Einfluss auf den Stoffwechsel ihrer Träger. Sie tragen zudem einen wichtigen Teil zur Identität der Rassen bei. Hörner sind Ausdruck der Urtümlichkeit der traditionellen Landrassen und erzählen die Geschichte ihrer Domestikation aus den wilden Vorfahren, die allesamt Hörner trugen.

Wegen diesen biologischen, ethologischen und kulturhistorischen Gründen sollen gehörnte Rassen auch Hörner tragen.

Mechanische Enthornung
Tierhaltende, die ihre Tiere mechanisch enthornen, nehmen ihren Tieren die Hörner. Die betroffenen Tiere behalten dabei ihr genetisches Potential, Hörner an ihre Nachkommen weiterzuvererben. Tiere, die mechanisch enthornt wurden, bleiben mit ihrem Erbgut weiter Teil des Genpools der Rasse. Es gibt die Meinung, dass man enthornte Tiere aus der Zucht ausschliessen müsse, um dem Enthornen entgegenzuwirken. Bei sehr kleinen und entsprechend gefährdeten Rassen, wie z.B. den Evolènern würde dies bedeuten, dass gesunde Tiere aufgrund menschlichen Verhaltens aus der Zucht genommen werden müssten und sich der Genpool dadurch verkleinert. Ein Dilemma also, bei dem der Anspruch an Tierwohl und Tierethik mit dem Ziel kollidiert, keine wertvolle Genetik innerhalb des oft kleinen Genpools zu verlieren.

In diesem Dilemma liegt der Grund dafür, dass ProSpecieRara gegen den Ausschluss solcher Tiere aus der Erhaltungszucht ist. Weil genetische Verluste unwiederbringlich sind, duldet ProSpecieRara mechanisch enthornte Tiere im Zuchtbuch, um sie und ihre Genetik nicht der Förderung und den Erhaltungszuchtprogrammen zu entziehen.

In der Rinderszene ist bei den ProSpecieRara-Rassen das Enthornen eine Randerscheinung. Der Grossteil der Tierhaltenden sucht sich die alten Rassen aus Gründen aus, die auch die Ursprünglichkeit und den Ausdruck der Tiere beinhalten – zu denen natürlich die Hörner gehören. Nur wenige Betriebe arbeiten mit enthornten Tieren. ProSpecieRara befürwortet Haltungskonzepte, für welche die Tiere nicht enthornt werden müssen. Jeder funktionierende Betrieb ist wichtig, um für die Haltung behornter Tiere zu werben und um die Zunahme enthornter Tiere zu verhindern.

Auch bei den Ziegen gibt es Tierhalter, die Tiere ohne Hörner wünschen. Die Tiere werden entweder mechanisch enthornt oder auf Hornlosigkeit gezüchtet.

Genetisch hornlose Tiere
Biologisch lassen sich keine Ziegen züchten, die reinerbig und somit komplett genetisch hornlos sind. Genetisch hornlose Ziegen gibt es zwar, sie müssen aber mischerbig sein, also zum Hornlosigkeitsgen immer auch noch das Horngen tragen. Nur so sind die Tiere fruchtbar. Dadurch bleibt das Potential, Hörner an die nächste Generation zu vererben bestehen.

Bei den Rindern hingegen ist es möglich, Genetik für Hornlosigkeit so in eine Rasse einzukreuzen, dass die Horngenetik komplett verdrängt wird. Für die alten Landrassen wäre das ein katastrophaler Verlust.

ProSpecieRara distanziert sich darum davor, bei den Rindern permanente genetische Hornlosigkeit in die alten Landrassen einzukreuzen und somit Tiere zu züchten, die aufgrund ihrer Genetik keine Hörner mehr ausbilden können. Wer mit hornlosen Rindern arbeiten will, kann dies mit bereits bestehenden, hornlosen Rassen tun.

Aber auch bei den ProSpecieRara-Ziegenrassen, bei denen für gesunde, genetisch hornlose Tiere das Horngen noch vorhanden bleiben muss, vertritt die Stiftung den Standpunkt, dass Betriebe mit solchen hornlosen Tieren die Ausnahmen bleiben müssen.

Die Stiftung setzt sich darum dafür ein, die Züchterschaft auf den Wert der Hörner zu sensibilisieren und war auch massgeblich am Zustandekommen der Hornkuhinitiative von Armin Capaul beteiligt.

Die Enthornung gefährdet Vermarktungsprojekte
ProSpecieRara setzt bei der nachhaltigen Förderung der gefährdeten Rassen auch auf die Förderung deren Vermarktung. Wie wertvoll die Produkte wahrgenommen werden und wie gross die Bereitschaft der Kunden ist, für Spezialitäten einer alten Rasse faire Preise zu bezahlen, hängt direkt mit der Ausstrahlung der Rasse zusammen und mit den Werten, mit welchen eine Rasse in Verbindung gebracht wird.

Von Kunden, die bewusst Fleisch von ProSpecieRara-Rassen wählen weiss man, dass nicht nur die gute Fleischqualität und die traditionelle, nicht-industrielle Haltung der Tiere geschätzt werden, sondern dass auch die Ursprünglichkeit der Tiere sowie deren emotionale Werte grosse Rollen spielen. ProSpecieRara-Rassen werden eben noch als Tiere wahrgenommen werden, die traditionell gehalten werden und bei denen Qualität, Robustheit und Geländegängigkeit wichtiger sind, als schneller und hoher Fleischertrag. Dass die Tiere Hörner tragen, unterstreicht diese Wahrnehmung.

Wer alte Rassen enthornt verabschiedet sich auch von Werten wie „alte Rasse“, „altes Kulturgut“, „Ursprünglichkeit“ und „Rinder wie früher“ und wird vergleichbarer mit vielen anderen Rassen. Der Schaden, der dem Image der alten Rassen damit in der öffentlichen Wahrnehmung entsteht, kann nicht überschätzt werden.

Wo Hörner im Spiel sind, braucht es mehr Platz im Stall, mehr Wissen rund um die Tierhaltung und mehr Aufmerksamkeit im Umgang mit den Tieren. Wer dies mit seinen Tieren umsetzt, wird auch von seinen Kunden positiv wahrgenommen, was dem Image der eigenen Tierhaltung und der eigenen Produkte zugutekommt. Dies ist der Weg, den ProSpecieRara zusammen mit den Tierhaltenden für die gefährdeten Rassen gehen will.