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Neue Ziele für den Erhalt der (Agro-)Biodiversität

Die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention haben auf der COP-15-Konferenz in Montreal neue Ziele zum Erhalt der weltweiten Biodiversität vereinbart. Doch was bringt das neue Rahmenwerk für die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere, für die sich auch ProSpecieRara engagiert?

Roggenfeld mit Mohnblüten

Bereits 2010 wurden in Nagoya (in der Präfektur Aichi in Japan) die sogenannten Aichi-Ziele zum Erhalt der Biodiversität vereinbart, welche bis ins Jahr 2020 hätten erreicht werden sollen. Die rund 200 Mitgliedstaaten mussten jedoch schon bald erkennen, dass die gesteckten Ziele ausser Reichweite sind. So wurden in den letzten Jahren neue Ziele verhandelt, die am 19. Dezember 2022 von den Vertragsstaaten angenommen wurden. Die Ziele des «Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework» geben zum Beispiel vor, dass 30% der Fläche zu Land und zu Wasser bis 2030 unter Schutz stehen, dass das Risiko durch Pestizide halbiert wird oder dass die biodiversitätsschädlichen Subventionen um 500 Milliarden Dollar pro Jahr reduziert werden müssen. Dieses neue Rahmenwerk wird von einigen als Erfolg gefeiert – andere bezweifeln jedoch, dass es den weltweiten Biodiversitätsverlust nachhaltig stoppen kann.

Auch Agrobiodiversität soll erhalten werden
Unter dem Radar der Medien wurden als Teil des Rahmenwerks auch Ziele zum Erhalt der Agrobiodiversität und spezifischer zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung der Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren vereinbart. Diese Ziele werden auch für die Arbeit von ProSpecieRara in den kommenden Jahren von grosser Wichtigkeit sein.[1]

Im «Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework» gibt es vier Überziele (Goals) und 23 spezifischer formulierte Ziele (Targets), und zusätzlich eine Liste von Indikatoren für die Messung der Zielerreichung.  Betreffend Agrobiodiversität steht im neuen Rahmenwerk Folgendes:

  • Im Goal A geht es um die Erhaltung. Ziel ist – und das wird explizit genannt –, dass die «genetische Vielfalt innerhalb der Populationen wildlebender und domestizierter Arten erhalten bleibt, wodurch ihr Anpassungspotenzial geschützt wird.» Der Hinweis auf die «domestizierten Arten» stellt klar, dass somit auch die Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren geschützt werden soll und dass wir diese Vielfalt brauchen, um die Landwirtschaft an sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen.
  • Inhalt von Goal B zur nachhaltigen Nutzung ist, dass die «biologische Vielfalt nachhaltig genutzt und bewirtschaftet wird, und die Beiträge der Natur für den Menschen, einschließlich der Funktionen und Leistungen des Ökosystems, geschätzt, erhalten und verbessert werden.» Obwohl die Nutzpflanzen hier nicht explizit genannt werden, sind sie implizit im Ziel der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt miteinbezogen.
  • Im Target 4 steht, dass die Mitgliedstaaten «dringende Managementmassnahmen gewährleisten müssen, […] um die genetische Vielfalt innerhalb und zwischen den Populationen einheimischer, wildlebender und domestizierter Arten zu erhalten und wiederherzustellen und somit auch ihr Anpassungspotenzial zu bewahren und zwar durch In-situ- und Ex-situ-Erhaltung und durch nachhaltige Nutzungspraktiken, […]» Wichtig ist neben der wiederum expliziten Nennung der domestizierten Arten insbesondere, dass neben der Ex-Situ Erhaltung (in Genbanken) auch die In-Situ Erhaltung (auf dem Feld) und die nachhaltige Nutzung genannt wird. Dies entspricht ganz und gar dem Credo von ProSpecieRara, dass die Vielfalt nur durch ihre Nutzung nachhaltig erhalten werden kann.
  • Auch im Target 10, welches spezifisch die Gebiete abdeckt, welche für die Fischerei, sowie die Land- und Forstwirtschaft genutzt werden, wird die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt (und somit auch der Agrobiodiversität) genannt.

Ziele sehr allgemein gehalten
Gemein haben alle diese Ziele zur Agrobiodiversität, dass sie sehr allgemein gehalten sind und nur in beschränktem Masse numerische Vorgaben enthalten (wie dies zum Beispiel bei den Schutzgebieten oder den schädlichen Subventionen, siehe oben, der Fall ist). Die Vielfalt der Nutzpflanzen soll einfach «erhalten werden». Doch immerhin wurde mit dem neuen globalen Rahmenwerk der weltweite Konsens bestätigt, dass wir unsere Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren erhalten und nachhaltig nutzen müssen. Ob diese Ziele erreicht werden, steht auf einem anderen Blatt. Gefordert sind nun die einzelnen Nationalstaaten, welche spezifische Massnahmen ergreifen müssen.

Neu soll auch die nachhaltige Nutzung der Vielfalt gemessen werden
Um die Zielerreichung zu messen, wurden in Montreal auch eine Vielzahl von Indikatoren vereinbart, darunter einige spezifisch zur Agrobiodiversität. So soll die Anzahl der pflanzen- und tiergenetischen Ressourcen, die in mittel- oder langfristigen Erhaltungseinrichtungen (Genbanken) gesichert sind, gemessen werden, ebenso wie der Anteil der lokalen Rassen, die vom Aussterben bedroht sind. Beides sind Indikatoren, welche bereits unter den Aichi-Zielen erhoben wurden und zumindest für die Schweiz von begrenztem Nutzen waren, da sie die Nutzung nicht abdecken. Der in diesem Bereich einzig neue Indikator ist der sogenannte Agrobiodiversity Index. Mit diesem Index wird nicht nur die Erhaltung, sondern auch die nachhaltige Nutzung sowie die Vielfalt beim Nahrungsmittelkonsum gemessen. Doch auch hier obliegt es schlussendlich den Nationalstaaten, in welcher Weise sie diesen neuen Indikator nutzen werden, um die Zielerreichung zu messen.

Nur ein erster Schritt
Die Formulierung der Ziele im Rahmen des «Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework» sind somit nur ein erster Schritt, um den Verlust der Biodiversität – und auch der Agrobiodiversität – zu stoppen. Nun muss jedes einzelne Land aktiv werden, auch die Schweiz. Dazu braucht es politischen Willen und die notwendigen Ressourcen. Einen ersten Tatbeweis muss das Parlament mit der Annahme eines griffigen Gegenvorschlages für die Biodiversitätsinitiative erbringen. Denn handeln wir als Gesellschaft wie bis anhin, ist die Gefahr gross, dass wir im Jahr 2030 wiederum feststellen müssen, die Ziele nicht erreicht zu haben.


[1] Wobei die weitaus umfangreicheren und spezifischen Ziele des «Globalen Aktionsplans für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft» welche im Rahmen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) vereinbart wurden, ihre bestimmende Rolle behalten werden.