Seltene Pflanzensorten und Tierrassen können nur mit entsprechendem Know-how erhalten werden. Dieses geben wir in unseren Kursen weiter und stellen es online, z. B. im Sortenfinder, für alle zur Verfügung. Nicht nur die Sorten und Rassen selber, sondern auch das Wissen über sie soll möglichst frei zugänglich sein. Denn dies dient der Bewahrung und Förderung der so kostbaren Vielfalt.
Michelle Preiswerk, Bereichsleiterin Wissensvermittlung
PSR- 100484, Paprika ‚Mazedonien‘. Spitzpaprika. Reift von grün nach rot. Angeblich nicht fürs Freiland geeignet, mehr ist leider nicht bekannt. Ausprobieren! So lautete die geheimnisvolle Beschreibung der Sorte, mit der ich meine ersten (ernsthaften) Samenbauversuche unternahm. Sie war meine Praxissorte im Samenbaukurs intensiv, den ich selber vor vielen Jahren besuchte. Seither ist einige Zeit vergangen, aber die Mazedonierin ist bei mir geblieben. Sie ist nach wie vor meine allerliebste (im Übrigen absolut freilandtaugliche!) Peperoni und ungefähr alle zwei Jahre ziehe ich 15 bis 20 Exemplare davon an. Von den Schönsten und Vitalsten ernte ich Saatgut für die Samenbibliothek, für Interessierte, die diese Sorte im Sortenfinder bestellen können, und natürlich für mich selber.
Wissensvermittlung als Basis für die Erhaltung
Wie bestimme ich, von welchen Pflanzen ich Samen nehmen möchte, wie viel Platz brauche ich für den Anbau meiner Saatgutpflanzen, wann sind die Samen reif? Wie kriege ich sie sauber? Wie bewahre ich sie auf? Und überhaupt: Wo stecken sie denn eigentlich, zum Beispiel beim Rüebli?! Während früher das Wissen um die Saatgutgewinnung ganz selbstverständlich zur Landwirtschaft und zur Selbstversorgung dazugehörte, kennt sich heute praktisch niemand mehr damit aus. Um qualitativ hochstehendes Saatgut produzieren zu können, braucht es aber einiges an Know-how. Das gleiche gilt natürlich für die Erhaltungszucht seltener Tierrassen und die Erhaltung von seltenen Obst-, Beeren- und Zierpflanzensorten. Und weil wir uns bei der Erhaltung der Vielfalt auf ein grosses Netzwerk von engagierten Privatpersonen stützen, sind u.a. unsere Kurse die Basis, die das ermöglicht, was wir alleine niemals stemmen könnten – nämlich die Erhaltung von sage und schreibe 38 seltenen Tierrassen und 5702 raren Pflanzensorten.
Probieren geht über Studieren
Am Samenbau Interessierte haben die Möglichkeit, zunächst einmal ein „Probierset“ zu bestellen und sich an zwei relativ einfach zu vermehrenden Arten zu versuchen: einer Tomate und einem Kopfsalat. Natürlich verschicken wir hier nicht Sorten, von denen nur noch wenige keimfähige Samen existieren, sondern solche, von denen reichlich Saatgut vorhanden ist. (So ist es auch nicht so tragisch, wenn der Versuch schiefläuft.) Der nächste Schritt sind unsere Samenbaukurse für Einsteiger:innen. Dort lernt man u.a., dass man sogar als Topfgärtner:in Möglichkeiten hat, Samenbau zu betreiben. In unserem Samenbaukurs intensiv schliesslich bilden wir jährlich 20-25 Lernwillige aus, die sich das Handwerkszeug des Samenbaus von Grund auf aneignen möchten. Und vielen davon geht es genau wie mir. Wer einmal die tiefe Befriedigung erfahren hat, den ganzen Zyklus vom Samen zur reifen Frucht und wieder zum Samen mitzuerleben, den lässt das so schnell nicht mehr los. Und so entscheiden sich zu unserer Freude tatsächlich die meisten unserer Kursteilnehmer:innen, eine oder mehrere Sorten unter ihre Fittiche zu nehmen, ihr Überleben zu sichern und so Teil von unserem Erhaltungsnetzwerk zu werden.

Wissensvermittlung ist keine Einbahnstrasse …
… sondern ein Kreislauf. Wir generieren, sammeln, bündeln und vermitteln Wissen. Dabei gibt es im Pflanzenbereich ein zentrales Werkzeug, welches frei und jederzeit zur Verfügung steht: den Sortenfinder. Hier tragen wir zusammen, was wir durch Versuche, Degustationen, Sichtungen und historische Forschung über unsere Sorten wissen. Zwar haben wir dank unserer Samengärtnerei und extra dafür vorgesehenen Flächen im Felsberg (unserem neuen Zuhause) endlich die Möglichkeit, selber Sorten zu sichten und zu darüber zu forschen. Der Löwenanteil des Wissens über unsere Sorten liegt aber nach wie vor bei unseren ehrenamtlich tätigen Sortenerhalter:innen. Sie kennen ihre Sorten bestens und versorgen uns mit Informationen – die dann wiederum in den Sortenfinder einfliessen und so allen Interessierten zugänglich sind. Dazu gehört auch Wissen über Saatgutgewinnung und -reinigung. Der geniale Trick, Salatsamen mit einem Handstaubsauger zu ernten, stammt beispielsweise von unseren langjährigen Sortenerhaltern Annafried und Martin Widmer-Kessler, zwei „Urgesteinen“, die seit Jahrzehnten den Dreschtag und Samenbaukurs mit uns bestreiten und mit ungebrochenem Erfindergeist jedem noch so kniffligen Samenreinigungsproblem auf den Grund gehen. So sehen wir unsere Dreschtage, Fachtage, Aktiventreffen, aber auch Begegnungen an Märkten, Führungen und in Kursen als wertvollen, gegenseitigen Austausch, wo wir viel dazulernen und das Gelernte dann wiederum weitergeben.

Zukunftsträume
Natürlich sprudeln wir vor Ideen, Plänen und neuen Kursideen. So bieten wir bis anhin kaum Bildungsangebote für Familien an, obwohl positive sinnliche Erfahrungen in der Kindheit prägend sind fürs ganze Leben (und was könnte sinnlicher sein als der Biss in drei völlig unterschiedlich schmeckende und aussehende Rüebli?). Hier wird der Grundstein für eine lebenslange Begeisterung für die Vielfalt gelegt. Deshalb haben wir für die Zukunft einen Familienkurs fest in Planung. Ebenfalls in diese Richtung geht ein neues Schulprojekt in Zusammenarbeit mit der FHNW und weiteren Partnern, welches schweizweit Schulen zu Sortenerhaltern machen möchte und jetzt gerade in den Startlöchern steckt. Wir arbeiten intensiv daran, unsere Inhalte in der Bildungslandschaft der Schweiz zu verankern. Unser Ziel ist, dass das Thema Sortenvielfalt – als wichtiger Teil der Biodiversität – irgendwann selbstverständlich zur landwirtschaftlichen Ausbildung gehört.
Und nicht zuletzt wollen wir den Wissensfluss ganz grundsätzlich weiter fördern, und zwar in alle Richtungen. So hoffe ich sehr, dass wir in absehbarer Zeit vermehrt regionale Vernetzungstreffen organisieren und auch endlich das längst fällige Forum für unsere Sortenerhalter:innen einrichten und in unsere Website integrieren können. Auch hier fehlt es uns leider bislang an finanziellen Mitteln.
Sie sehen, es gibt noch einiges zu tun für unser Team. Mit Ihrer Spende helfen Sie mit, den gesellschaftlichen Beitrag von ProSpecieRara im Bildungsbereich zu unterstützen und die oben genannten Zukunftsträume Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür danke ich Ihnen von Herzen.
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«Wenn ich durch den Garten gehe, beobachte ich viel genauer, wie es den Pflanzen geht.»
Jonas, du hast den Samenbau-Intensivkurs besucht. Was hat dich dazu bewogen?
Ich habe bereits 2015 als Sortenbetreuer bei ProSpecieRara angefangen, jedoch im sehr kleinen Rahmen mit Pflanztrögen auf dem Balkon. Vor kurzem haben wir unseren Garten neu gestaltet, mit dem Ziel, Fläche für Gemüseanbau zu gewinnen. Daher wollte ich mich intensiver mit dem Samenbau befassen.
Hat der Kurs deine «Gärtnerphilosophie» verändert?
Nicht grundsätzlich, jedoch ist heute mein Bewusstsein für die Komplexität des Gärtnerns und speziell des Samenbaus viel ausgeprägter, auch fürs Thema der Pflanzengesundheit. Ich merke, dass ich heute mehr Fokus auf die Planung bezüglich Aussaatzeitpunkt, Platzbedarf, Fruchtfolge oder Pflanznachbarn lege, um eine möglichst gute Samenqualität sicherzustellen. Wenn ich durch den Garten gehe, beobachte ich ausserdem viel genauer, wie es den Pflanzen geht.
Und verrätst du uns noch deine Lieblingssorte?
Ich probiere immer wieder Neues aus. Wenn ich eine Sorte nennen müsste, wäre es die Paprika ‘Skinny’. Ich mag ungewöhnliche Sorten und diese ist wirklich ungewöhnlich klein und sehr niedlich, sowohl die Pflanze, als auch die Früchte. Ideal für die Gewürzmühle.
Priorität: Grundwissen Erhaltung
Unsere Kurse sind nicht selbsttragend. Deshalb müssen wir uns aufs Wesentliche konzentrieren und halten ein kleines, aber feines und ausgeklügeltes Kursprogramm aufrecht. Wir konzentrieren uns bewusst auf Kurse, die für die Erhaltung von seltenen Sorten und Rassen elementar sind. Diese sogenannten „Erhaltungskurse“ sollen, wenn irgendwie möglich, für alle Interessierten erschwinglich bleiben. Zu den Kursen