Generhaltung

Die Gene aller Tiere einer Rasse bilden einen Genpool. Ihn möglichst breit zu erhalten ist unsere Aufgabe.

Auf dem obigen Bild bestaunen drei junge Evolèner den ungewohnten Fotografen auf ihrer Weide. Die zwei roten Jungtiere tragen auf ihren Stirnen schöne, weisse Dreiecke, sogenannte «Sterne». Beim mittleren, schwarzen Tier ist der Stern nur ansatzweise vorhanden. Hat man den im Rassestandard umschriebenen, weissen Stern und somit die perfekt rassetypische Kopfzeichnung vor Augen, leuchtet jedem ein, dass das mittlere Tier bei der Zuchtauswahl nicht berücksichtigt werden sollte. So funktioniert Zucht: man behält diejenigen Tiere in der Zucht, die dem Ideal der Rasse am besten entsprechen und erreicht damit nach und nach das Zuchtziel.

Aber Achtung, so einfach ist das nicht bei gefährdeten Rassen! Wo es nur noch wenige Tiere einer Rasse gibt, ist die Generhaltung, also die Erhaltung eines möglichst vielfältigen Pools an unterschiedlichen Genen innerhalb des Gesamtbestandes äusserst wichtig. Die Erhaltungszucht trägt dem Rechnung und unterschiedet sich darum von der Elitezucht.

Der Unterschied zwischen Erhaltungszucht und Elitezucht
Grob gesagt kann man sagen, dass man bei der Erhaltungszucht versucht, einen Pool aus möglichst vielen reinrassigen Tieren mit unterschiedlichen Genen und damit auch eine gewisse Variabilität innerhalb des Bestandes zu bewahren. Aus der Zucht ausgeschlossen werden vor allem schwache Tiere und Tiere, die mit ihren Merkmalen stark vom Rassestandard abweichen. Man versucht also mit einer gewissen Toleranz, möglichst viele Tiere «in der Zucht mitzunehmen» und nimmt in Kauf, dass man hinsichtlich der Förderung von Leistungsparametern (Milch-, Mast- und Legeleistung, perfekte Rassenmerkmale, u.a.) nicht so effizient unterwegs ist, wie bei der Elitezucht. Dazu kommt eine strikte Kleinhaltung der Inzuchtwerte, um Inzuchtschäden und den Verlust von Genen klein zu halten (mehr dazu siehe Inzucht).

Bei der Elitezucht liegt das Hauptinteresse auf den leistungsfähigsten Tieren. Hier wird konsequent mit der Elite im produktiven Sinn und/oder im Hinblick auf das perfekte Äussere gezüchtet. Die Konzentration auf Spitzentiere führt zu schnellem Zuchtfortschritt und bringt eine Vereinheitlichung der Tiere mit sich, die - so dies auch die hohen Leitungen betrifft - durchaus gewünscht ist. Oft sind bei der Elitezucht eine gewisse genetische Verarmung, ein Anstieg von Inzucht und vor allem eine einseitige Spezialisierung weg von den Mehrnutzungsrassen hin zu den spezialisieren Rassen zu beobachten. Dies sind alles Gründe dafür, dass wir uns bei der Erhaltung und Förderung der alten Landrassen deutlich näher an der Erhaltungszucht orientieren als an der Elitezucht.

Weil hinter jeder Rasse eine Gemeinschaft aus Züchterinnen und Züchtern steht, erstaunt es nicht, dass es bezüglich der zu wählenden Zuchtstrategie immer wieder mal Meinungsverschiedenheiten gibt (siehe Erhaltung versus Leistungszucht). Es ist die Aufgabe der Zuchtleitung, die Züchterschaft für die Notwendigkeit von Massnamen für die Erhaltungszucht zu sensibilisieren.

Massnahmen für die Generhaltung

Genetische Präsenz
Mit Hilfe der Zuchtbuchprogramme kann für jedes Tier festgestellt werden, wie viele lebende Verwandte es aktuell hat. Das Programm berechnet deren Verwandtschaftsgrade und summiert diese zu einem Wert. Je mehr Verwandte eines Tieres leben und je näher sie mit ihm verwandt sind, umso höher ist der Wert der genetischen Präsenz und umso stärker ist die Genetik dieses Tieres im Gesamtbestand vertreten.

Fördern und bremsen
Tiere mit hoher genetischer Präsenz haben Gene, die innerhalb der Gesamtpopulation ihrer Rasse öfter vorkommen, als Tiere mit tiefer genetischer Präsenz. Will man den Genpool möglichst vielfältig erhalten, sind Tiere mit hohen genetischen Präsenzen zu bremsen (z.B. Zuchtwidder, die häufig eingesetzt wurden nicht mehr oder nur noch auf kleinen Gruppen einsetzen oder von sehr stark verbreiteten Geissen keine Jungböcke zur Zucht aufziehen, etc. ) und solche mit schwach vertretener Genetik zu fördern (z.B. von einer More, die genetisch schwach vertreten ist, versuchen, Jungtiere zur Zucht aufzuziehen oder die Junghahn-Aufzucht von Hühnerzuchtgruppen mit rarer Genetik fördern, etc.). Während Tiere mit hohen genetischen Präsenzen häufig leistungsfähig und rassetypisch sind und darum und die Züchter begeistern, gibt es bei den Tieren mit tiefen genetischen Präsenzen sowohl starke wie auch weniger überzeugende Tiere. Hier gilt es, nur diejenigen Tiere zu fördern, die nicht aufgrund von Mängeln genetisch selten sind, sondern weil sie vielleicht bei weniger aktiven Züchtern unterkamen.

Förderung der Vatertierhaltung
Für einen vielfältigen Genpool braucht es nicht einfach möglich viele Tiere, sondern möglichst viele Tiere, die im Rahmen ihrer typischen Rasseneigenschaften unterschiedliche Gene tragen. Ein grosser Tierbestand, in dem alle Tiere eng miteinander verwandt sind, ist genetisch ärmer, als ein kleiner Bestand mit Tieren, die weniger eng miteinander verwandt sind. Aus dieser Überlegung heraus ist das Prinzip der «effektiven Populationsgrösse» entstanden. Da dabei die Anzahl zuchtfähiger Vatertiere eine grosse Rolle spielt, sind alle Massnahmen sinnvoll, die deren Zahl erhöht.
Die Förderung der Vatertierhaltung kann also nicht überschätzt werden. Während bei den Schafen die Hürde für die Haltung von Widdern vergleichsweise gering ist, ist sie für die Haltung von Ziegenböcken, Ebern, Stieren und Hähnen deutlich grösser, sei es weil diese aufwändigere Infrastrukturen benötigen oder aber zuweilen olfaktorische resp. akustische Herausforderungen darstellen. Alle, die trotzdem männliche Zuchttiere halten, leisten einen sehr wertvollen Beitrag an die Erhaltung der gefährdeten Rassen!