Die Geschichte der Kulturpflanzen
Nach heutigem Kenntnisstand wurden die Menschen zuerst im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes, in der heutigen Türkei und im Iran, sesshaft. Dies ungefähr im 10. bis 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. In dieser Region sind viele Wildgetreide beheimatet, entsprechend waren Gersten, Weizen, Erbsen und Linsen die ersten in Kultur genommenen Pflanzen. Währenddessen zog man in Mitteleuropa noch einige Jahrtausende umher und wurde erst um 5500 bis 2200 v.u.Z. sesshaft. Man ernährte sich neben Fleisch und Wildfrüchten von Urformen des Dinkels, der Rispen- und Kolbenhirse, Hafer, Emmer, Roggen und Pastinaken. Ob die bei uns wild vorkommende Karotte mit ihrer weissen Pfahlwurzel schon genutzt wurde, lässt sich nicht schlüssig belegen.
Mit den Römern kamen weitere Arten wie z.B. Puffbohnen, Salate, Gartenmelde, aber auch Dill und Koriander über die Alpen.
In den mittelalterlichen Klöstern fanden vermutlich die ersten Züchtungsversuche statt. Hier wurden die Gemüse-, Obst- und Kräutersorten beschrieben, gezielt auf gewisse Eigenschaften hin selektiert und vermehrt. Einen ersten Überblick über die damals verwendeten Arten verschafft das «Capitulare de villis», die Landgüterverordnung Karl des Großen von Anfang des 9. Jahrhunderts. Darin erließ der Kaiser Vorschriften, welche Nahrungspflanzen in seinen von Mittelitalien bis an die Ostsee, und von den Pyrenäen bis nach Böhmen reichenden Krongütern angebaut werden sollen. Neben vielen Kräutern werden darin auch folgende Gemüsearten genannt: Gurke, Zuckermelone, Flaschenkürbis, Kuhbohne, Kichererbse, Lattich, Sellerie, Fenchel, Schlafmohn, Mangold, Pastinake, Gartenmelde, Kohlrabi, Kohl, Speiserübe, Winterheckenzwiebel, Rettich, Schalotte, Küchenzwiebel, Knoblauch, Puffbohne, Erbse und Karotte. Ob die Karotte damals schon als Nahrungs- oder eher als Heilpflanze genutzt wurde, bleibt offen.
Mit der Entdeckung Amerikas kamen ab Ende des 15. Jahrhunderts auch der Mais, die Tomate, Kürbisse, Garten- und Feuerbohnen, Peperoni und Kartoffeln zu uns. Innerhalb eines Jahrhunderts hatte man plötzlich eine Fülle neuer Kulturpflanzen zur Verfügung. Diese erreichten uns nicht etwa als Wildformen, sondern wurden in Amerika bereits genutzt und kamen in entsprechend vielfältigen Formen und Varianten zu uns. Die eine oder andere Pflanze brauchte noch Zeit, um sich ans hiesige Klima und die Tageslänge anzupassen, andere etablierten sich schneller. Zusätzlich brauchte es Zeit, bis sich die Ernährungsgewohnheiten der hiesigen Bevölkerung änderten («Was der Bauer nicht kennt ...»).
Erste Kreuzungen zur Verbesserung der Kulturpflanzen
In den vergangenen Jahrhunderten und gar Jahrtausenden lag die Entwicklung der Kulturpflanzen primär in den Händen der Bauern. Jeder bebaute seine Felder, erntete für Eigengebrauch und Tausch oder Verkauf und betrieb in dem Maße Samenbau, dass für das kommende Jahr genügend Saatgut zur Verfügung stand. Sorten entwickelten sich weiter, weil jeweils von den besten Pflanzen Saatgut gewonnen wurde, es fand permanent eine Selektion statt.
Im 17. Jahrhundert begannen findige Geister mit den ersten Kreuzungen zur Verbesserung der Kulturpflanzen. Ende des 17. Jahrhunderts tauchen dann auf holländischen Gemälden die ersten orangen Karotten auf, welche aus den einheimischen weissen und den zentralasiatischen gelben und purpurroten gezüchtet worden sind. Um 1780 begann man Landsorten von Kartoffeln gezielt zu kreuzen und 1786 selektierte der preussische Wissenschaftler F.C. Achard die ersten zuckerreichen Rüben und züchtete schließlich die ’Weiße schlesische Zuckerrübe’.
Im 19. Jahrhundert wurde die Zucht professionalisiert, es entstanden in Mitteleuropa renommierte Züchterhäuser und Samenhändler. Vor allem Frankreich und Deutschland wurden zu Zentren der Gemüsezüchtung, dort entwickelte Sorten wurden in ganz Europa und auch den USA gehandelt. Auch die Karotte wurde intensiv züchterisch weiterbearbeitet. Dabei sah das Ziel, einheitliche, unverzweigte Wurzeln, ein verbessertes Verhältnis von Mark zu Rinde und ein erhöhter Karotin- und Zuckergehalt vor.
Bis zur großen Privatisierungswelle in den 1990er-Jahren war auch der Staat intensiv in die Züchtung von Gemüse involviert. Da die Forschung über Zuchtmethoden eng mit den Universitäten verbunden ist, war dies naheliegend. Forschungsanstalten in Mitteleuropa entwickelten eine große Zahl neuer Gemüsesorten.
Entwicklung der Hybridzüchtung
1909 wurden in den USA die ersten Versuche zur Hybridzüchtung von Mais abgeschlossen, 1940 begann man mit der Hybridzüchtung von Zuckerrüben.
1956 waren in Mitteleuropa die ersten Maishybriden im Samenhandel erhältlich. Dies war ein wichtiger Meilenstein, denn alle bis dahin verwendeten Sorten waren samenfest und offen abblühend. Das nötige Wissen vorausgesetzt, konnte jeder sein eigenes Saatgut ernten und in gleicher Qualität im darauffolgenden Jahr wieder anbauen. Mit der Einführung von Hybridsorten (sogenannte F1-Sorten) änderte sich dies schlagartig. Hybridsorten sind nicht sortenecht nachbaufähig. Heute dominieren Hybridsorten das Saatgutangebot bei Gemüse und Getreide. In gewissen Kulturen wie z.B. dem Zuckermais sind im großen Stil ausschließlich Hybridsorten erhältlich, bei anderen Kulturen sind noch wenige samenfeste Sorten im Handel. So auch bei den Karotten.
Privatisierung des Saatgutes
Wo Geld im Spiel ist, ist die Politik nicht weit. Nach dem zweiten Weltkrieg machten Pflanzenzüchterverbände Druck auf die Politik, worauf 1950 in Deutschland das Bundessortenamt gegründet und drei Jahre später das erste Saatgutgesetz der Welt eingeführt wurde. 1961 schlossen sich die USA, Japan und die meisten westeuropäischen Länder, darunter auch die Schweiz, zur UPOV (International Union for the Protection of New Varieties and Plants) zusammen. Die UPOV beschließt gemeinsame Grundregeln für den Sortenschutz, also das Eigentumsrecht des Züchters an seiner Sorte. Heute kämpft die ESA (Europäischer Saatgutverband) für Patente auf Pflanzen.
Dass ein*e Züchter*in für seine bzw. ihre Arbeit entschädigt werden will, ist absolut legitim. Dass aber durch die Patente kleinere Zuchtbetriebe kaum noch eine Chance haben mitzuhalten, führt zu einer gefährlichen Monopolisierung, die Erhaltung alter Sorten wird zusätzlich erschwert.
Sorten zu entwickeln wurde durch Patente und die Entwicklung der Gentechnik dermassen lukrativ, dass sich seit den 1980er-Jahren große Chemiefirmen in den Saatgutmarkt einkaufen. Es begann die Entwicklung hin zu Paketen von bestimmten Sorten, die in Kombination mit einem spezifischen Herbizid und Pestizid verkauft werden. Seither muss eine besorgniserregende Konzentration auf dem Saatgutmarkt beobachtet werden. Während in den 1970er-Jahren rund 7000 Saatgutfirmen tätig waren, verkauften 2007 die Top Ten der Saatguterzeuger zwei Drittel des weltweit gehandelten Saatgutes. 2018 sind es die Top Drei (Bayer/Monsanto, ChemChina/Syngenta, Dow/Du Pont), welche über 60% des weltweit gehandelten Saatgutes verkaufen. Kleinere Züchtungsunternehmen wurden übernommen oder mussten vor den übermächtigen Konkurrenten kapitulieren. Viele Gemüsesorten, die heute erhältlich sind, stammen von diesen finanzstarken Konzernen.
Ökologische Züchtung, ein anderer Weg
Schon in den 1970er-Jahren begannen Züchter*innen aus dem ökologischen Landbau, sich für eine andere Pflanzenzüchtung einzusetzen. Ihre Zuchtziele sind auf eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen ausgerichtet. Auf den technischen Eingriff in das Erbgut der Pflanze wird verzichtet und es werden nachbaufähige Sorten (keine Hybriden) entwickelt, um den Anbauer*innen die Möglichkeit zu lassen, ihr eigenes Saatgut zu produzieren oder die Sorte gar weiterzuentwickeln.
In Deutschland sind das zum Beispiel Kultursaat e.V., Saatgut e.V., Dreschflegel eG, Culinaris, Bingenheimer Saatgut AG und der Dottenfelder Hof.
In der Schweiz sind das Sativa Rheinau AG, Semences de Pays, Artha Samen, Zollinger Bio und Getreidezüchtung Peter Kunz.