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Etwas Licht und viel Schatten

Vorschlag für ein neues Saatgutrecht in der EU: Am 5. Juli hat die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine neue Verordnung über Pflanzenvermehrungsmaterial vorgestellt. Durch die Verordnung droht eine Überreglementierung mit Folgen für den Saatgutverkehr. Auch die Arbeit von ProSpecieRara wäre davon betroffen. Unser Politikverantwortliche François Meienberg ordnet den Entwurf ein und schaut die für uns relevanten Bestimmungen genauer an.

Jetzt spenden für den freien saatgutverkehr

Die Verordnung regelt die Erzeugung und das Inverkehrbringen von pflanzlichem Vermehrungsgut in der EU und ersetzt zehn verschiedene Richtlinien, die zum Teil noch aus den 60-er Jahren stammen. Mit der Verordnung hat die Kommission allerdings ein Ungetüm geschaffen, welches auf 70 Seiten und in 83 Artikeln den Saatgutverkehr durch eine Überreglementierung zu erdrücken droht.

Der Ball liegt nun beim Europäischen Parlament und beim Ministerrat, welche in den kommenden Monaten den Entwurf entschlacken und verbessern müssen. Ein neues Saatgutrecht in Europa hat auch Auswirkungen auf die Schweiz und die Arbeit von ProSpecieRara, denn es ist davon auszugehen, dass die Schweiz diverse Regelungen der EU in der einen oder anderen Form übernehmen wird.

Analyse des Entwurfs und Verbesserungsvorschläge
ProSpecieRara wird in den kommenden Wochen gemeinsam mit ihren Partnern in Europa die Analyse des Entwurfes vertiefen und konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Wir werden die anstehenden Verhandlungen im Europäischen Parlament und im Ministerrat aktiv mitverfolgen und über unsere Kanäle alle Interessierten auf dem Laufenden halten. 

Von besonderem Interesse für Erhaltungsorganisationen wie ProSpecieRara sind unter anderem folgende Regelungen:

Erhaltungssorten (Art. 26)

Worum geht’s?
Das Saatgutrecht regelt das Inverkehrbringen von Saatgut, wobei normalerweise nur Saatgut vermarktet werden darf, welches registriert ist. Für eine Registrierung muss eine Sorte in der Regel Kriterien der Homogenität und Stabilität entsprechen. Als Ausnahme dazu gibt es in der Schweiz die Möglichkeit, Nischensorten anzumelden, welche nicht den genannten Kriterien entsprechen müssen – und in der EU gibt es die Amateur- und die Erhaltungssorten. Die EU möchte diese Ausnahmen nun unter dem Dach der Erhaltungssorten zusammenfassen. Diese können auch neue Züchtungen beinhalten. Bisher durften diese Sorten in der EU nur in den Ursprungsregionen und in beschränkten Mengen und Packungsgrössen verkauft werden.

Position ProSpecieRara
Diese Einschränkungen sollen nun erfreulicherweise wegfallen. Andererseits scheint die neue Definition einer Erhaltungssorte (Artikel 3.29) neue Einschränkungen einzuführen. Bisher mussten Erhaltungssorten ‘hinsichtlich der Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen von Interesse sein’. Ein Kriterium, welches man einfach begründen konnte. Neu müssen sie ‘ein hohes Mass an genetischer und phänotypischer Vielfalt zwischen einzelnen reproduktiven Einheiten aufweisen’, wobei es völlig offen ist, in welchen Fällen die Vielfalt als nicht genügend eingestuft wird und wie diese Vielfalt gemessen werden soll.

Weitere Anforderungen für die Beschreibung sollen später noch in Durchführungsbestimmungen dazukommen. Dazu müssen Erhaltungssorten bei der Saatguterzeugung die gleichen, strikten Bedingungen erfüllen wie herkömmliches Saatgut (Artikel 6 und 8). Und neu wird auch eine Berichtspflicht über die jährlich produzierte Menge pro Art eingeführt (Art. 26).

Heterogenes Material (Art. 27)

Worum geht’s?
Bis jetzt konnte nur heterogenes Pflanzenmaterial aus dem biologischen Landbau auf den Markt gebracht werden. Der Entwurf sieht nun vor, dass dies auch für herkömmliches Saatgut möglich sein soll.

Position ProSpecieRara
Diese Massnahme kann die Diversität auf den Feldern erhöhen, wobei auch hier die Anforderungen für Produktion und Vermarktung aufwändig sind. Zudem gibt es Beschränkungen bei der Packungsgrösse.

Abgabe an Endkunden (Art. 28)

Worum geht’s?
Wie in der Schweiz bereits üblich, sollen nun auch in der EU nicht-registrierte Sorten an private Anwender:innen (nicht an Landwirt:innen) in Kleinpackungen verkauft oder abgegeben werden können. Die Abgabe oder Verkauf zwischen Privatpersonen ist gar gänzlich von der Regulierung ausgenommen (Art. 2).

Position ProSpecieRara
Diese Ausnahme ist begrüssenswert, denn sie ermöglicht den Verkauf und die Weitergabe von nicht-registrierten Sorten, was die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität vereinfacht.
 

Saatgutverkehr zwischen Genbanken oder innerhalb Saatguterhaltungsnetzwerken (Art. 29)

Worum geht’s?
Auch in diesem Fall dürfen nicht-registrierte Sorten in Umlauf gebracht werden. Weltfremd scheinen aber die neuen Regelungen für die Abgabe von Material zwischen Genbanken und Erhaltungsorganisationen/Netzwerken zu sein, die an Bedingungen wie Keimfähigkeit gebunden sind. Es kann Fälle geben, bei welchen man von einer anderen Genbank oder Erhaltungsorganisationen Saatgut bekommt, um es wieder aufzupäppeln und die Keimfähigkeit zu verbessern. Dies wäre neu offenbar nicht mehr möglich. Zudem ist die Vorlage noch unklar bei der Frage, ob Landwirt:innen, die Teil von Erhaltungsnetzwerken sind, nicht-registriertes Saatgut erhalten dürfen.

Position ProSpecieRara
Sinnvoller als diese neuen Regulierungen wäre es, die Tätigkeiten von Genbanken und Erhaltungsorganisationen ganz vom Geltungsbereich der Regulierung auszunehmen.

Saatguttausch zwischen Landwirt:innen (Art. 30)

Worum geht’s?
Bisher war der Tausch von Saatgut zwischen Landwirt:innen ein Graubereich. Neu soll er nun explizit erlaubt werden. Doch auch hier wird diese Möglichkeit sogleich mit diversen Anforderungen eingeschränkt («nur kleine Mengen», «nur was auf dem eigenen Hof gewachsen ist» etc.). Der Verkauf von Saatgut zwischen Bauern ist gänzlich untersagt.

Position ProSpecieRara
Dies steht im Widerspruch zur «Erklärung für die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten» (UNDROP) der UNO, welche das Recht auf Tausch und Verkauf von Saatgut explizit festhält.
 

Eingeschränkter Import aus der Schweiz (Art. 39)

Worum geht’s?
Saatgut kann in die EU importiert werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Anforderungen an das Saatgut im Exportland mit jenen in der EU äquivalent sind. Dies gilt jedoch nicht für die oben erwähnten Ausnahmebestimmungen (Art. 26-30). Dies bedeutet z.B., dass eine schweizerische Nischensorte, selbst wenn die Anforderungen an diese Sorte jenen einer EU-Erhaltungssorte entspricht, nicht die Grenze zur EU überschreiten darf. Zudem ist es unklar, ob der Austausch CH-EU z.B. zwischen ProSpecieRara und Arche Noah oder der deutschen Genbank in der heutigen Form noch möglich ist.

Position ProSpecieRara
Dies ist für die Erhaltungsarbeit ein grosses Problem, denn die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität macht nicht an Landesgrenzen Halt.
 

Neu-Registrierung alle 10 Jahre (Art. 69)

Worum geht’s?
Registrierte Sorten, inklusive Erhaltungssorten, sollen alle 10 Jahre (bei Obst und Reben 30 Jahre) neu registriert werden müssen.

Position ProSpecieRara
Bei Organisationen, welche viele Erhaltungssorten registriert haben, bedeutet diese wiederkehrende Neu-Registrierung einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand, der mit einer Anpassung der Registrierungsdauer vermieden werden muss.

Mehr Anforderungen für die Registrierung von herkömmlichen Sorten

Worum geht’s?
Bisher gab es die Prüfung des „landeskulturellen Wertes“ (VCU – mit welcher eine deutliche Verbesserung gegenüber bestehenden Sorten nachgewiesen werden muss) nur für Ackerkulturen. Neu soll dies auch für Gemüse, Obst und Reben notwendig sein. Zudem wird diese Prüfung neu mit Nachhaltigkeitskriterien ergänzt. Auch die Nachhaltigkeitsprüfung soll weiterhin unter unbeschränktem Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln sattfinden.

Position ProSpecieRara
Dass dies nicht den Prinzipien einer nachhaltigen Landwirtschaft entspricht, ist offensichtlich.


Zum Weiterlesen

Pressemitteilung der Europäischen Kommission

Entwurf der neuen Verordnung

Positionspapier von Arche Noah