Von Simone Krüsi, Redakteurin
Derzeit läuft die Unterschriftensammlung für die Lebensmittelschutzinitiative. Weshalb sollte man unterschreiben?
Wir haben in der Schweiz aktuell eine gute gesetzliche Grundlage, wie die Gentechnologie reguliert werden muss. Diese Schweizer Regelungen, die nach Ablauf des Moratoriums in Kraft treten würden, sind jetzt aber stark in Frage gestellt wegen der sogenannten Neuen Genomischen Techniken (NGT) wie beispielsweise CRISPR-Cas. In der EU ist zurzeit eine Gesetzesrevision im Gange, mit dem Ziel, NGT nicht wie die herkömmliche Gentechnologie zu regulieren. Wir hingegen sind ganz klar der Meinung – zusammen mit vielen Wissenschaftler:innen – dass NGT gleich behandelt werden sollen wie alte Gentechniken. Die Initiative will also in erster Linie, dass wir bei dem bleiben, was wir bereits haben – dass Gentechnik, egal ob neu oder alt, reguliert werden muss.Und das bedeutet in diesem Fall: Es braucht einerseits eine Risikoprüfung und andererseits eine Kennzeichnung der Produkte, damit die Konsument:innen wissen, was sie kaufen.
Welche konkreten Risiken siehst du denn bei einer unregulierten Einführung von Gentechnik, speziell in Bezug auf die biologische Vielfalt und die Landwirtschaft in der Schweiz?
Hier müssen wir zwischen biologischen und ökonomischen Risiken unterscheiden. Biologisch besteht das Risiko von Auskreuzungen oder Verunreinigungen, wenn sich beispielsweise gentechnisch verändertes Pflanzenmaterial mit Material eines Nachbarfeldes mischt, was auch für die Erhaltung von ohnehin schon seltenen Sorten verheerend wäre. Insbesondere für die Biolandwirtschaft stellt das ein Risiko dar, weil laut Bio-Verordnung Gentechnik prinzipiell verboten ist.
In ökonomischer Hinsicht sehen wir die Gefahr, dass die Monopolisierung der Saatgutbranche voranschreitet – denn alle Pflanzen, die mit NGT gezüchtet werden, sind patentiert! Dies führt unweigerlich zu einer Konzentration, der Zugang zu Saatgut – dem Ausgangsmaterial für Züchtungen – wird schwieriger und teurer, es werden je länger je weniger Unternehmen auf dem Markt sein und das geht natürlich einher mit einem Risiko für unsere Vielfalt und für unsere Unabhängigkeit, denn die Vielfalt ist am sichersten, wenn sie in Händen von Vielen liegt. Und sie zu bewahren, ist elementar: Wir wollen nicht, dass am Ende zwei oder drei Saatgutunternehmen bestimmen, was auf unsere Teller kommt.
Du hast die Patente angesprochen. In diesem Punkt geht die Initiative einen Schritt weiter als die bestehende Gesetzgebung.
Eigentlich sollten konventionell gezüchtete Pflanzen nicht patentierbar sein – darüber wird beim Europäischen Patentamt schon lange debattiert. Leider gibt es immer wieder Fälle, in denen doch Patente erteilt werden. Mit der Initiative wollen wir für die Schweiz nun klarstellen: Patente dürfen auf konventionell gezüchtete Pflanzen keine Auswirkung haben. Das heisst, wenn ein Züchter mit konventionellen Pflanzen züchtet und keine patentierten Verfahren anwendet, soll er künftig sicher sein, dass er frei weiterzüchten kann und seine Neuzüchtungen nicht von Patenten betroffen sind.
Die freie Zugänglichkeit zu Saatgut ist eines der Hauptanliegen von ProSpecieRara.
Ja.Die Vorstellung, dass natürliche Eigenschaften von Pflanzen, die wir in unseren Sammlungen erhalten, patentiert werden und so der Zugang zu den genetischen Ressourcen eingeschränkt würde, kommt einem Alptraum gleich. Das wollen wir selbstverständlich verhindern.
Von wo droht am ehesten Widerstand gegen die Initiative? Wer muss noch überzeugt werden?
Ganz klar dagegen sind sicherlich die Saatgutkonzerne, die auch zu den grössten Pestizidverkäufern gehören und möglichst schnell und ohne Hürden die mit neuen Gentechnologien veränderten Pflanzen auf den Markt bringen wollen. Teilweise gibt es auch Akteure aus Wissenschaft und Lebensmittelindustrie, die sich für NGT aussprechen, hier sind die Positionen noch nicht ganz klar. Wichtig ist zu wissen: Die Initiative wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Zulassung von Gentechnologie, möchte aber verhindern, dass dies unreguliert geschieht. Bei der Frage der Regulierung geht es auch nicht um ein Ja oder Nein zu den neuen genomischen Techniken. Es geht um die Frage: Wollen wir die Sicherheit gewährleisten, wollen wir die Konsument:innen informieren, wollen wir die Risiken von Patenten für Schweizer Züchter:innen ausschliessen? Diese Fragen möchten wir geklärt haben, wenn das bestehende Moratorium ausläuft.
Das Moratorium läuft Ende 2025 aus, das Parlament will es nun aber bis 2028 verlängern, der Bundesrat gar bis 2030. Wenn es immer weiter verlängert wird, wäre die Lebensmittelschutzinitiative eigentlich obsolet?
Es ist denkbar, dass dieses Moratorium früher oder später ausläuft. Zu diesem Zeitpunkt müssen wir die Gewissheit haben, dass die neue und die alte Gentechnik so reguliert wird, dass Risiken ausgeschlossen und die Rechte der Konsument:innen ernst genommen werden. Deshalb braucht es die Initiative auch, wenn das Moratorium verlängert wird.
Aber ja, das Moratorium hat es bis heute immer wieder durchs Parlament geschafft – und zwar aus gutem Grund. In Anbetracht der Entwicklungen in den Nachbarländern, z.B. in Spanien, wo gentechnisch veränderter Mais eingeführt wurde, lässt sich ganz klar sagen: Die Schweiz ohne Moratorium würde heute landwirtschaftlich in keiner Weise besser dastehen als mit dem Moratorium. Wir haben nichts verloren, sondern haben im Gegenteil ein Qualitätsmerkmal gewonnen – eine gentechnikfreie Landwirtschaft –, was nicht zuletzt dem Markt dient.
Was ist Gentechnik?
Lauft Bundesverfassung sind gentechnisch veränderte Organismen (…) Organismen, deren genetisches Material auf eine Weise verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.
Die Initiative möchte folgenden Zusatz in der Bundesverfassung verankern: Zu diesen gehören auch Organismen, die durch neue genomische Techniken erzeugt worden sind.
Was sind neue genomische Techniken (NGT) und weshalb können sie problematisch sein?
Neue genomische Techniken umfassen molekulare Verfahren, die eine zielgerichtete Bearbeitung des Erbguts ermöglichen. Sie führen meist zu schnelleren Veränderungen als bei der konventionellen Züchtung. Es ist eine Technologie mit noch weitgehend unbekannten Risiken. Immer wieder zeigen Wissenschaftler:innen auf, dass die neue Gentechnik alles andere als präzise ist und oft zahlreiche unbeabsichtigte genetische Fehler hervorruft. Diese Schäden an der DNA treten sowohl an Stellen auf, an denen die Veränderung gewünscht ist (On-Target-Bereich), als auch an Stellen, an denen überhaupt keine Veränderungen stattfinden sollten (Off-Target-Bereich). Ein weiteres Problem ist, dass auf NGT-Pflanzen Patente angemeldet werden können, weil sie mit Gentechnik gezüchtet worden ist. Und das bedroht die Erhaltung der Vielfalt, weil andere mit dieser Sorte nicht oder nur gegen hohe Lizenzabgaben weiterzüchten können.
Unterschreiben und den freien Zugang unterstützen
Diesem rara liegt ein Unterschriftenbogen bei. Mit Ihrer Unterschrift tragen Sie dazu bei, dass die Gentechnik auch nach Ablauf des Moratoriums reguliert wird und die Zugänglichkeit zum Züchtungsmaterial gewährleistet bleibt. Mehr Infos unter lebensmittelschutz.ch